Meine Tante wohnt an der Mosel. Weinberg reiht sich an Weinberg, unterbrochen von ein paar Straßen, einigen Pensionen und hier und da ein paar Dörfchen. Ich mag es da eigentlich – es ist recht idyllisch, ruhig, unaufgeregt. Es ist nicht los, aber wenn da mal etwas passieren würde, wäre die Aufregung sicher groß.
Ich weiß nicht, ob die Verantwortlichen bei TNT Serie Verwandte in den Weinbergen an Mosel, Rhein & Co haben, oder ob sie selbst dort wohnen. Sie haben sich aber diese Szenerie für eine weitere, selbstproduzierte Serie (nach Add a friend) ausgesucht. Eigentlich ein ideales Plätzchen, wenn man eine Art Mystery-Drama aufziehen möchte. Und so soll das TNT-Produkt auch die erste deutsche Mystery-Serie sein, das deutsche „Twin Peaks“ – Weinberg eben. Soweit so anspruchsvoll. Nach den ersten beiden Folgen kann ich sagen: Nein, das ist noch nicht die erste deutsche Mystery-Serie (zumindest nicht das, was ich mir unter Mystery vorstelle), und es ist sicher nicht das deutsche „Twin Peaks“. Es wirkt bei allem Bemühen doch immer noch ein bisschen arg wie die bekannten deutschen Crime-Serien à la „Ein Fall für zwei“, „SOKO“ usw.
Um den Anspruch einer Mystery-Serie erfüllen zu können, scheint es fast so, als hätten die Macher sich an das DVD-Serienregal begeben und mal geschaut, welche Elemente aus bestimmten Serien passen könnten, um ein neues Ganzes zu ergeben. Das personifizierte Böse? Okay, kommt aus Twin Peaks. Der gestrandete Hauptprotagonist, der vollkommen ohne Gedächtnis aufwacht? Haben wir bei Wayward Pines gesehen. Die ihren Sohn im Grundschulalter stillende Mutter? Hatten wir gerade erst bei Game of Thrones. Die allseits beliebte Dorfschönheit, die ein schmutziges Geheimnis verbirgt? Gut, nochmal Twin Peaks.
Leider ist alles recht unrund zusammengerührt, garniert mit recht hölzernen Dialogen und jeder Menge Klischees. Natürlich ist der eigentliche Freund mit dem Mann der stillenden Mutter liiert, der Sänger aus der Death Metal-Band ist natürlich elternlos und hat bestimmt ein Verhältnis mit seiner Lehrerin. Der Dorfvorsteher schaut Pornos, und die Psychologin am Ort stellt ganz, ganz schlaue Fragen. Sie hat auch überraschend viele Termine frei, denn der Hauptprotagonist schaut doch recht häufig, mitunter wohl mehrmals täglich, bei ihr vorbei.
Natürlich ist nicht alles schlecht. Mir gefällt der Vorspann, der recht chic gemacht ist und eigentlich auf mehr hoffen lässt. Der Score ist auch prima, ist an vielen Stellen echt gut eingesetzt – leider schon die besten Momente der Serie. Die Optik ist recht eigenartig, gefällt mir aber. Sieht ein bisschen nach Kammerspiel aus und bildet so eigentlich eine ganz gute Plattform, was die Dialoge und die Schauspieler allerdings leider nicht ausnutzen können. Sie spielen mitunter sehr oberflächlich und vielfach stereotypisch – keiner vermag es, eine emotionale Beziehung zum Zuschauer aufzubauen. Mitfühlen kann man in dieser Serie bislang grundsätzlich mit niemandem.
Auch das ist dann eben der Unterschied zu den offensichtlichen Vorlagen. In Twin Peaks leidet man gleich in den ersten Minuten mit so vielen Menschen mit: mit Pete, der das Opfer gefunden hat, mit dem Polizisten Andy, der beim Anblick der Leiche weinen muss, mit dem Sheriff, der vollkommen geschockt ist, als er merkt, dass er das Opfer kennt. Oder Wayward Pines: Es ist gleich zu Beginn so beklemmend, dass der gestrandete Hauptdarsteller keinen Ausweg sieht – es ist kein Entkommen, keine Hilfe in Sicht. Man fühlt sich selbst gefangen – bei Weinberg fühlt man sich eher ausgegrenzt. Deswegen werde ich wohl auch nicht mehr zum Weinberg zurückkehren.
Jonas Meinung
Ich bin ratlos und frage mich: Was habe ich hier gesehen? Die erste Folge ist skurril – und teilweise auch unfreiwillig komisch. Das kommt durch die sehr extrem gestalteten Charaktere, wie beispielsweise der asiatische Pfarrer, der nur sehr schlecht Deutsch spricht und nur jedes zweite Wort versteht. Dazu die mysteriöse Streichmusik, da kommt man als Zuschauer oft nicht so schnell mit und dann kippt das Ganze in die Lächerlichkeit. In der zweiten Folge hat man sich zwar an die Charaktere gewöhnt und kann sich so besser auf die Geschichte einlassen, aber auch nach fast 2 Stunden ist man immer noch sprichwörtlich „Lost“. Zu viele Charaktere, zu viele Nebenschauplätze und leider ein sehr blasser Protagonist, welcher seine existenzielle Not durch einen kompletten Gedächtnisverlust nur durch dummes in die Gegend Starren transportieren vermag, was nicht besonders glaubwürdig wirkt. Das heißt nicht, dass die Serie ein kompletter Reinfall wäre. Die Bilder in Weinberg wirken und sind großartig, die Charaktere und die schauspielerische Leistung sind weitestgehend ohne Tadel und trotz aller Verworrenheit spürt man schon das Verlangen danach, dass sich das präsentierte Mysterium auflöst. Aber bei diesem (kleinen) Verlangen bleibt es am Ende. Wirklich Lust darauf, mehr Zeit in Weinberg zu investieren, habe ich nicht.
TNT will eine Qualitätsserie made in Germany verkaufen, welche mit internationalen Top-Titeln mithalten kann. Daran muss sich die Serie messen lassen und trotz vieler spannender Ansätze scheitert Weinberg bei diesem Versuch, schade.
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