Mangelnde Diversität in Serien ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt und mich schon seit langer Zeit stark beschäftigt. Ich bin der Überzeugung, dass Filme und Serien die Vielfältigkeit unserer Welt, der Gesellschaft und der Menschen, die sich in ihr befinden, noch nicht ausreichend abbilden. Natürlich gilt das nicht für alle Filme und Serien und einige schaffen es schon ziemlich gut, auch mal von gängigen Darstellungsmustern abzuweichen. Alles in allem ist aber das Bild, das durch Serien und Filme geschaffen wird, einfach zu einseitig – und das in vielerlei Hinsicht.
Daher frage ich mich: Wie realistisch dürfen oder müssen oder sollten Serien denn eigentlich sein? Wie viel Wahrheit und Realität fördern unser Verständnis von der Welt und öffnen unsere Sicht, ohne unser Seherlebnis negativ zu beeinflussen? Gibt es Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen? Auf all diese Fragen habe ich keine Antworten. Ich versuche mich ihnen aber ein Stück weit zu nähern.
Der Ansatz
Es geht mir nicht darum zu hinterfragen, wie realistisch es ist, dass Menschen durch einen Virus mutieren und zu Zombies werden, wie wahrscheinlich es ist, dass man übernatürliche Kräfte besitzen kann oder ob es tatsächlich mal Drachen gegeben hat. Es geht mir vielmehr um die Abbildung des Alltäglichen im Nicht-Alltäglichen, dessen, was uns als Menschen beschäftigt. Unabhängig von den großen Story-Aufhängern in Serien. Lass sie sein, was sie wollen. In welchem Genre auch immer. Es sind die kleinen beiläufigen Dinge, die unseren Blick auf die Welt viel stärker beeinflussen, als wir es vielleicht manchmal glauben.
Unrealistische Bilder
Immer wieder gibt es Videos, in denen echte Ärzte „Grey’s Anatomy“ oder „Dr. House“ und echte Anwälte „Suits“ auseinander nehmen und beurteilen, wie nah die Darstellungen der Serien dem tatsächlichen Alltag als Arzt oder Anwalt kommen. Denn viel zu oft hört man doch den Satz: „Ich könnte aus dem Stand weg operieren, ich hab alle Folgen ‚Grey’s‘ geschaut!“ Ob ernst gemeint oder nicht – ist es nicht das, was uns diese Krankenhausserie vermittelt? Genau zu wissen, was im OP so vor sich geht?
Und mal ehrlich: Welche Berufsbilder aus Serien entsprechen schon der Realität? Carrie aus „Sex and the City“ ist Kolumnistin und führt ein Leben, als hätte sie gestern im Lotto gewonnen: Tolle Wohnung mitten in New York, immer die teuersten Schuhe und Kleider, jede Mahlzeit wird außerhalb der eigenen vier Wände eingenommen. Das kann sich kein Mensch leisten. Ich mag „Sex and the City“ und man könnte jetzt auch argumentieren, dass es in der Serie aber ja genau darum geht: den Kleiderschrank – und eine andere Darstellung an dem Thema vorbeiführen würde. Fair enough. Aber ist das nicht bei einem Haufen anderer Serien auch irgendwie so?
Dann erstmal zum nächsten Punkt: Wo sind die Frauen über 40? Ach Moment, die gibt’s ja gar nicht! Nein, jetzt mal im Ernst: Wo sind die Frauen, die nicht mehr in der ersten, sondern vielleicht in der zweiten oder dritten Blüte ihres Lebens stehen? Geht man nach dem Großteil der Serien und Filme, die uns auf den bekannten Plattformen so zur Auswahl stehen, ist diese Spezies die Seltenheit überhaupt. Womit wir dann auch gleich wieder beim Thema Diversität wären. Ist für mich aber auch schwer von realistischer Darstellung in Serien zu trennen.
Gut, dann eben weiter: Wie sieht es denn so mit dem Körper der Frau aus? Nicht nur, dass dieser bei der weiblichen Figurenbesetzung in den meisten Fällen den Durchschnitt der Frauen in Maßen und Gewicht bei Weitem unterschreitet, Themen wie Menstruation, die Veränderung des Körpers während der Schwangerschaft oder nach einer Geburt oder auch die weibliche Sexualität werden beinahe noch wie Tabus behandelt. Oder aber in wieder einmal übertriebener und unrealistischer Weise thematisiert. Liegt das an dem unausgewogenen Verhältnis von weiblichen und männlichen Drehbuchautoren, daran, dass viele Dinge überhaupt nicht aufgegriffen werden können, da sie nicht auf dem Radar der in der Überzahl vertretenen männlichen Drehbuchautoren auftauchen? Ich denke, das ist sicherlich einer der ausschlaggebenden Gründe. Womit wir wieder bei Diversität wären. Huch.
Ich glaube, dass schon winzige Kleinigkeiten in der Darstellungsweise zu großen Veränderungen in der Wahrnehmung führen können – nicht nur in der Wahrnehmung der Zuschauer von anderen, sondern auch, und das sogar vor allem, von sich selbst. Wenn ich mal wieder Frauen auf High Heels über die Bildschirme laufen sehe, schmerzen mir die eigenen Füße und ich denke gleich: Kaum eine Frau trägt zum Wochenendeinkauf solche Schuhe. WER denkt sich sowas aus? Wenn sich Personen in Liebesszenen die Kleidung vom Leib reißen und keine Abdrücke von BH, Hose oder Socken auf dem Körper zu sehen sind, ist klar: Niemand auf der Welt hat so perfekt passende Kleidungsstücke, dass diese keine Spuren hinterlassen. Wenn gezeigt wird, wie man morgens aufwacht, auf einem perfekt aufgeschüttelten Kissen liegend, mit dem nackten Arm über der Decke und einem traumhaften Augenaufschlag, fasst man sich an den Kopf, weil man von sich selbst weiß, dass man mit Schlaf in den Augen und den Körperteilen unkoordiniert über das Bett verteilt in den ersten Minuten erstmal versucht überhaupt zurück ins Leben zu finden. Ein weiterer großer Mythos: Frauen tragen auch nicht immer sexy Lingerie, sondern Unterwäsche, die bequem ist. Und wenn man sich die Zähne putzt, dann muss das schäumen und am Ende muss man ordentlich gurgeln und spülen. Das, was man in Serien sieht, ist ja nicht mal eine Katzenwäsche. Und warum? Damit man weiterhin gut aussieht?
Je älter ich werde, desto mehr stören mich diese Darstellungen komischerweise. Und so stark manche Stories aus dem „echten Leben“ auch gegriffen zu sein scheinen, desto abwegiger ist ihre Darstellung und Übersetzung dieser Stories in Bilder manchmal.
New Normal
Ich habe das Gefühl, dass der Standard in Serien dieser ist: du bist jung, heterosexuell, siehst gut aus und hast genug Geld, ach ja und irgendwie intelligent bist du am besten auch noch. Sobald diese Kriterien nicht erfüllt sind, ist die Grundlage dafür gegeben, zu thematisieren, warum du genau eine dieser Kriterien nicht erfüllst. Ich frage mich: Geht das nicht auch anders? Kann nicht der Protagonist auch mal schwul sein, ohne dass sein Schwulsein die Story bestimmen muss (was immerhin auch schon mal ein guter Schritt wäre – womit wir wieder… ok, ich lass es jetzt)? Kann nicht auch mal eine Frau einen Jogger tragen, wenn sie auf dem Sofa liegend gezeigt wird, und nicht nur den seichten Bademantel, der in keinster Weise das Gefühl von Gemütlichkeit oder Wärme vermittelt? Denn wenn Dinge nicht mal gezeigt werden, wie sollen sie dann überhaupt als normal begriffen werden?
Meiner Meinung nach ist jedenfalls die fehlende realistische Darstellung mancher Dinge der Grund, warum sich unrealistische Körperbilder in unsere Köpfe fressen. Warum Männer oftmals keine Ahnung davon haben, wie es sich für Frauen anfühlt, wenn sie die monatliche Blutwelle überfällt. Warum Menschen Heterosexualität als die Norm ansehen und keinen Platz für andere als die ihren Ansichten haben.
Die blaue oder die rote Pille?
Daher zurück zu den vielen Fragen, die mich beschäftigen: Würde es unser Seherlebnis denn negativ beeinflussen, wenn man mehr Realität in Serien einfließen ließe? Muss die Story über allem stehen und würde eine realistischere Darstellungsweise von Alltäglichkeiten zu sehr davon ablenken? Würde sich die Mehrheit dadurch womöglich sogar gestört fühlen?
Was ist eure Meinung dazu? Was stört euch an den gängigen Darstellungen in Serien? Worüber stolpert ihr, was beschäftigt euch, seht ihr das alles womöglich ganz anders?
Wollen wir lieber die blaue Kapsel schlucken und weiterhin eine Scheinwelt betrachten, statt mit der roten Pille der Wirklichkeit in der Fiktion näher zu kommen? Ich würde sagen: Morpheus, führ uns in die tiefsten Tiefen der Realität. Wir brauchen das.
Mich nerven Serien in denen alle (oder zumindest alle weiblichen) Charaktere überdurchschnittlich gut aussehen. The CW macht das beispielsweise gefühlt grundsätzlich immer so (Arrow, Riverdale, The Flash etc.).
Total albern sind auch immer Sexszenen in denen die Frau ihren BH an behält. Dann sollte man lieber mit einer Schwarzblende arbeiten.
Ein wirklich toll geschriebener Beitrag, der sehr zum Nachdenken anregt.
Mich stört vor allem das idealisierte Frauenbild, mir fehlt es „echte“ Frauen zu sehen und keine geschönten, die einem Ideal entsprechen, welches fast keine Frau erreichen kann. Wir Frauen sind so schon kritisch genug mit uns, da wäre es schön auch mal Frauen zu sehen, wie man sie auch auf der Straße im echten Leben treffen kann. Ich glaube, dass würde dem Frauenbild allgemein sehr gut tun.
Ich mag auch Serien wie „Sex and the City“ aber irgendwie sehe ich die Dinge seitdem ich eine kleine Tochter habe nochmal kritischer.
Ich persönlich schaue mir Serien im Fernsehen an, um ab zuspannen und mich zu amüsieren. Da möchte ich persönlich alles einigermaßen perfekt sehen und nicht das, was ich den ganzen Tag schon sehen muss!
Hach Kira, wie immer ein geniales Thema. Vielen Dank.
Ich mag inzwischen auch nicht mehr die perfekten und hübschen Gesichter Hollywoods. Gilmore Girls ist eine tolle Serie, aber hat mit Realismus nichts am Hut. Wo kommen diese Kleider her in einer Kleinstadt? Warum sind alle Töchter furchtbar klug? Und wer kümmert sich eigentlich um Paul Anka?
Aber es gibt sie – die kleinen Ausnahmen. Ich mag Grace & Frankie gerade deswegen: sie sind alt, die Männer sind schwul (und darum dreht es sich nicht) und es geht um die Probleme von Frauen im Alter. Und zwar beim Thema Sexualität. Das gefällt nicht jedem. Und das mag ich so. Oder auch Orange is the New Black. Wieder – viele Frauen. Viele Frauenthemen und alle Altersklasse. Natürlich sind trotzdem noch in beiden Serien alle Schauspieler unverhältnismäßig hübsch. Hollywood eben :/
Und aus diesem Grund feiere ich „Die Brücke“ so. Das ist realistisch. Ohne hübsche Gesichter. Die Schweden sind ja eh nicht dafür bekannt. Sie nehmen lieber markante Typen. Und das funktioniert gut. Denn dadurch kommt sehr viel Authentizität rein. Und alles sind nur Menschen mit Fehlern und Ecken und Kanten.
Meiner Meinung nach haben das auch „Girls“ und „Transparent“ versucht. Wir nehmen jetzt mal Charakterdarsteller. Nicht die hübschen. Und zeigen sie nackt in ihrer Unvollkommenheit. Hat leider bei mir gar nicht funktioniert, weil es für mich zu aufgesetzt und damit gar nicht authentisch wirkt. Es wollte zu sehr und konnte doch nicht. Aber das ist nur meine Meinung.
Wie auch immer. Ich danke Dir für dieses Kommentar. Das ist echt ein gutes Thema und ich bin unbedingt für mehr Realität. Denn es bedarf noch viel Aufklärung in sovielen Gebieten. Und das kommt heutzutage eben auch aus Serien.
Darauf ne rote Pille!
Hm also ich gucke jetzt gerade Suits, eine Serie die hier ja in einen Zusammenhang mit der Kritik gebracht werden soll und da muss ich schon staunen….
Von 9 geführten Hauptcharakteren sind 5 Frauen. Geboren sind diese 1969,1972, 2x 1978, 1981. Heißt im Verlauf der Serien deckt man etwa den Altersbereich 30-45 an.
Im übrigen ist das ziemlich exakt der selbe Altersbereich wie bei den Männern (1970-1981).
Also mehr weibliche Hauptdarsteller als männliche und selbes Alter, das lässt sich da also definitiv nicht zeigen.
Natürlich könnte man nun kritisieren, dass keiner (speziell) der Hauptdarsteller homosexuell ist, aber wieso ist keiner Chinese, keiner Inder, keiner trans- oder intersexueller?
Wenn man das erstmal anfängt wird man irgendwie doch sehr schnell zu der Überzeugung kommen, dass der Grundgedenke alles in einer Serie unterbringen zu wollen einfach Unsinn ist, denn ginge es nur um Nebenrollen würde genau das als nächstes kritisiert werden.
Aber mal von Suits weg…
Melissa McCarthy war wohl eine sehr erfolgreiche Schauspielerin in den letzten Jahren und meines Wissens nach ist sie weder unter 40 (geb. 1970) noch entspricht sie dem was immer wieder als verkauftes Ideal bezeichnet wird.
Das SchauspielerInnen so einschlagen ist halt aber auch selten von daher ist es schlußendlich auch nicht verwunderlich, dass ich da jetzt nicht aus dem Stehgreif 50 aus der jüngeren Geschichte aufzählen kann. Ich würde mir nur einen fairen Blick darauf wünschen.
Als kleiner Tipp am Rande, ich befürchte leider, dass auch nicht jeder Mann aussieht wie Chris Pratt oder ein beliebiger anderer der wohlmöglich als attraktiv empfunden wird.
Was die Sexualität angeht würden mir spontan da mal Lucifer oder Game of Thrones einfallen. Natürlich kann man über die Darstellung von Frauen speziell bei Game of Thrones streiten, aber wenn man die zu Grunde liegende Zeit mal mit einbezieht ist es ja nun nicht zwangsläufig unrealistisch. In beiden Serien werden gleichgeschlechtliche Interaktionen dargestellt undzwar nicht als irgendwas besonderes und das Thema drängt sich auch nicht auf.
Selbstverständlich sind da jetzt aber nicht 50% der Leute homosexuelle, übergewichtige 60 Jährige, unabhängig vom Geschlecht.
Wer sowas erwartet sollte aber auch, tut mir leid, nicht von Realitäten reden
Hallo Norman. Vielen Dank für deinen Kommentar und deine Sicht der Dinge.
Zunächst einmal zu deiner Erläuterung zu „Suits“: Ich hatte die Serie in meinem Text nur in dem Kontext genannt, dass echte Anwälte die Serie manchmal darauf hin untersuchen, wie real die fachlichen Inhalte dargestellt werden. Ich habe keine Kritik an der Verteilung der Rollen/Geschlechter/Altersgruppen geäußert ;) Aber sehr schön, dass es mit der Serie schon ein Beispiel gibt, wo es tatsächlich mal gute und ausgeglichene Repräsentationen verschiedener Geschlechter gibt.
Melissa McCarthy ist eine tolle Schauspielerin. Man muss aber auch dazu sagen, dass ihre Rollen eine lange Zeit sehr einseitig waren. Über den Grund kann man nur spekulieren. Und dein Tipp am Rande ist Whataboutism at its best ;)
Bezüglich deiner Äußerung des fairen Blicks auf die Dinge: Ich habe eingangs ja geschrieben, dass es natürlich einige Filme und Serien gibt, die es schaffen, von gängigen Darstellungsmustern abzuweichen – und das wird zum Glück, insbesondere durch die Streamingdienste, die mit ihrem Angebot zum Teil auch Nischen besetzen, auch immer mehr. Von daher ging es mir nicht darum, aufzuzeigen, dass es nicht schon Beispiele (wie unter anderem die von dir genannten) gibt, in denen es Diversität oder zumindest diversere Abbildungen von Geschlechtern etc. gibt. Sondern es ging mir darum, zu thematisieren, dass da noch viel Luft nach oben ist und aktuell noch zu viel fehlt, als dass man von einer realistischen Abbildung unserer Welt, Geschlechter, Sexualitäten im Rahmen von Serien sprechen könnte. Und es ging mir darum, zu hinterfragen, wie viel Realität es denn im Rahmen von Fiktion überhaupt geben darf und sollte, ohne das Seherlebnis zu zerstören. Darauf gibt es sicherlich keine richtige oder falsche Antwort, sondern es ist lediglich ein Denkanstoß :)
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